Kolondivertikulose und -divertikulitis
Klinische Einteilung, Pathogenese
Erworbene Ausstülpungen der Kolonwand, die im Gegensatz zu angeborenen Divertikeln falsche Divertikel, d.h. Ausstülpungen nur der Schleimhaut, nicht der gesamten Darmwand darstellen. Die Divertikulose beschreibt das Vorhandensein von Kolondivertikeln. Die Divertikel entstehen durch erhöhten intraluminalen Kolondruck, wobei die Zusammensetzung der Nahrung (faserarme Kost) bei der Entstehung eine entscheidenden Rolle spielt. Die bevorzugte Lokalisation der Divertikel ist das "Reservoirorgan" Sigma. Bei Retention von Darminhalt in den Divertikeln kommt es zu lokalen entzündlichen Veränderungen in den Divertikelhälsen, und es bildet sich im Gefolge eine Peridivertikulitis und schliesslich eine Parakolitis mit Stenose aus.
Die Klassifikation nach Hansen und Stock ist eine klinische Klassifikation zur Einteilung der Divertikulitis:
Stadium | Bezeichnung | Klinik |
0 | Divertikulose | asymptomatisch |
I | akute unkomplizierte Divertikulitis | Schmerzen im Unterbauch, ggf. Fieber |
II | akute komplizierte Divertikulitis | |
IIa | Peridivertikulitis, phlegmonöse Divertikulitis | Druckschmerz, lokale Abwehrspannung, tastbare Resistenz, Fieber |
IIb | abszedierende Divertikulitis, gedeckte Perforation | Lokaler Peritonismus, Fieber, Darmatonie |
IIc | freie Divertikelperforation | akutes Abdomen, Peritonitis |
III | chronisch rezidivierende Divertikulitis | rezidivierender Unterbauchschmerz, Obstipation, Subileus |
Gemäß S2k-Leitlinie "Divertikelkrankheit/Divertikulitis" der AWMF von Mai 2014 wurde die Klassifikation der Divertikelkrankheit und Divertikulitis "etwas" alteriert, lehnt sich aber weiterhin an die Klassifikation von Hansen und Stock an. Meine Meinung ? Zu unübersichtlich und viel zu kompliziert:
Stadium | Bezeichnung | Klinik |
---|---|---|
Typ 0 | Asymptomatische Divertikulose | Zufallsbefund; asymptomatisch; Keine Krankheit |
Typ 1 | Akute unkomplizierte Divertikelkrankheit/Divertikulitis | |
Typ 1a | Divertikulitis/Divertikelkrankheit ohne Umgebungsreaktion | Auf die Divertikel beziehbare Symptome; Entzündungszeichen (Labor): optional; Typische Schnittbildgebung |
Typ 1b | Divertikulitis mit phlegmonöser Umgehungsreaktion | Entzündungszeichen (Labor): obligat; Schnittbildgebung: phlegmonöse Divertikulitis |
Typ 2 | Akute komplizierte Divertikulitis wie 1b, zusätzlich: | |
Typ 2a | Mikroabszess, gedeckte Perforation, kleiner Abszess (≤ 1cm); minimale parakolische Luft | |
Typ 2b | Makroabszeß, gedeckte Perforation, Para- oder mesokolischer Abszess (>1cm) | |
Typ 2c | Freie Perforation, freie Luft/Flüssigkeit; generalisierte Peritonitis | |
Typ 2c1 | Eitrige Peritonitis | |
Typ 2c2 | Fäkale Peritonitis | |
Typ 3 | Chronische Divertikelkrankheit; Rezidivierende oder anhaltende symptomatische Divertikelkrankheit | |
Typ 3a | Symptomatische unkomplizierte Divertikelkrankheit (SUDD) | Typische Klinik; Entzündungszeichen (Labor): optional |
Typ 3b | Rezidivierende Divertikulitis ohne Komplikationen | Entzündungszeichen (Labor) vorhanden; Schnittbildgebung: typisch |
Typ 3c | Rezidivierende Divertikulitis mit Komplikationen | Nachweis von Stenosen, Fisteln, Konglomerat |
Typ 4 | Divertikelblutung | Nachweis der Blutungsquelle |
Im englischen Sprachraum ist bei Vorliegen einer Perforation die Klassifikation nach Hinchey gebräuchlich. Wir geben das hier mal in englischer Sprache an:
The Hinchey classification - proposed by Hinchey et al. in 1978 classifies a colonic perforation due to diverticular disease. The classification is I-IV:
Hinchey I - localised abscess (para-colonic)
Hinchey II - pelvic abscess
Hinchey III - purulent peritonitis (the presence of pus in the abdominal cavity)
Hinchey IV - feculent peritonitis
Epidemiologie
- Häufige "Zivilisationskrankheit".
- Inzidenz 15 / 100.000 / Jahr Hospitaleinweisungen (Schottland) 0.3 / 100.000 / Jahr (Singapur)
- Altersgipfel vor 40: selten. 50 -> 60 -> 70 -> ansteigende Inzidenz
- Geschlecht gleich verteilt
- Geographie in Gegenden mit faserarmer Ernährung häufiger, in weiten Teilen Asiens und China unbekannt
Spontanverlauf
unbehandelt progredienter Verlauf mit Ausbildung von Stenosen, Fisteln und Abszessen
Mögliche Komplikationen
- Stenose
- Blutung
- Fisteln
- Psoasabszess
- Perforation, Peritonitis
Prästationäre Maßnahmen (Hausarzt)
Sonographie; bei Komplikationsverdacht oder Unsicherheit: sofortige Klinikeinweisung.
Symptome
- Linkslokalisierte Mittel- und Unterbauchschmerzen
- Unregelmässigkeit des Stuhlgangs
- Fieber
- Leukozytose
Obligate Diagnostik
- Anamneseerhebung
- klinische Untersuchung; rektale Untersuchung;
- Blutbild, Serumwerte, U-Status bestimmen
- Sonographie
- Abdomenübersicht im Liegen und im Stehen, Pulmo
- CT Abdomen, ggf. CT-gezielte Abszessdrainage
Abbildung: Stenosierende Sigmadivertikulitis im Gastrografineinlauf (Quelle: MRI)
Abbildung: Stenosierende Sigmadivertikulitis im Becken-CT (Quelle: MRI)
Fakultative Diagnostik
- Gastrografineinlauf
- Zystoskopie (Blasenfistel?)
- im Intervall: Koloskopie (Stenose? Divertikulitiszeichen? Karzinomausschluß?)
Therapie [Chirurgie]
Indikaton:
Alle unkompilizierten Sigmadivertikulitiden Typ I sollten grundsätzlich zunächst konservativ behandelt werden.
Führt eine adäquate konservative Therapie nicht zur Ausheilung der akuten unkomplizierten Divertikulitis, sollte nach Ausschluss einer Komplikation bzw. anderer Erkrankungen eine operative Therapie erwogen werden.
Bei rezidivierenden Schüben einer chronischen Divertikulitis oder Nachweis einer Sigmastenose ist die Indikation zur chirurgischen Therapie gegeben.
Aufklärung
Konservative Therapiealternative, Wundheilungsstörung, unschöne Narbe, Blutung, Nachblutung, Eigenblutspende nicht sinnvoll, Darmverletzung, Darmresektion, Blasenverletzung, Ureterverletzung, Umsteigen auf offene Operation, (temporärer) künstlicher Darmausgang, bei Komplikation Behandlung auf Intensivstation, Sepsis, Nachbeatmung, bei Langzeitbeatmung Luftröhrenschnitt
Vorbereitung
Bei Nachweis einer stenosierenden Sigmadivertikulitis wird der Patient stationär aufgenommen. Legen eines zentralen Venenkatheters. Komplette parenterale Ernährung über 5-6 Tage, Ansetzen eines Breitspektrumantibiotikums (iv., ggf. Kombination, z.B. Piperazillin [Pipril] 3 x 1 g / Metronidazol [Clont] 3 x 0.5 g). siehe auch Tabelle gebräuchlicher Antibiotika
Präoperativ: Abführen mit 1/2-1 Portion Senna z.B. [X-Prep] und 1000 ml PEG, z.B. [Golytely]. Blasenkatheter;
Beachte auch: Neuerdings kommt das sog. Fast-track (ERAS) Konzept zur Anwendung:
Kein Abführen präoperativ. Proteindrinks bis zur OP erlaubt. Periduralkatheter. Entlassung 3-4 Tage postoperativ.
Standardoperationsverfahren: Die chirurgische Standardtherapie ist laparoskopische oder offene Sigmaresektion mit End-zu-End-Anastomose. Die Anastomose sollte in Höhe der peritonealen Umschlagfalte zu liegen kommen.
Details zur Nachbehandlung eines Routinefalles:
- 1. p.o. Tag abends: schluckweise Tee
- 2.-3. p.o. Tag: Entfernung der links parakolisch eingelegten Robinsondrainage
- ab 2-3. p.o. Tag: Kostaufbau
grundsätzlich: perioperative Antibiotikaprophylaxe mit Breitbandantibiotikum und/oder Metronidazol
Therapie [Internistisch]
Indikation: Die konservative Behandlung der Sigmadivertikulitis hat an Bedeutung gewonnen. Die früher geltende Maxime, sie sei nur beim erster Schub einer unkomplizierten Sigmadivertikulitis indiziert, muss relativiert werden.
Alle unkompilizierten Sigmadivertikulitiden Typ I sollten grundsätzlich konservativ behandelt werden.
Führt eine adäquate konservative Therapie nicht zur Ausheilung der akuten unkomplizierten Divertikulitis, sollte nach Ausschluss einer Komplikation bzw. anderer Erkrankungen eine operative Therapie erwogen werden.
Bausteine der konservativen Behandlung:
- parenterale Ernährung, Antibiose (siehe oben)
- Pflanzenfaserreiche Ernährung
- Weizenkleie, Vollkornkost, Obst, Gemüse
Behandlungsergebnisse: abhängig vom Komplikationsgrad. Bei unkomplizierter Sigmadivertikulitis 0-1 % Mortalität. Anastomoseninsuffizienz 3-6 %.
Siehe auch: