Ösophaguskarzinom
Klinische Einteilung
In den 60er Jahren überwogen Plattenepithelkarzinome (80-85%) gefolgt von Adenokarzinomen (3-10%). Die Inzidenz der Adenokarzinome hat sich in der vergangenen Jahren vervielfacht, und die Prävalanz der Adenokarzinome ist inzwischen höher als die der Plattenepitelkarzinome. Zur klinischen Einteilung nach Tumorlokalisation unterscheidet man Karzinome der infrabifurkalen und der suprabifurkalen Ösophagushälfte. Adenokarzinome entstehen gehäuft in der sog. Barrett-Metaplasie (Umwandlung des normalen Plattenepithels des Ösophagus in Zylinderepithel im Sinne eines Endobrachyösophagus). Die Entstehung der Barrett-Metaplasie ist mit langjährigem Reflux assoziiert. Symptomatischer gastroösophagealer Reflux ist ein Risikofaktor für die Entstehung eines Adenokarzinoms. Die Einnahme von Medikamenten, die den unteren Ösophagussphinkter relaxieren, scheinen mit einer erhöhten Rate von Adenokarzinomen einherzugehen. Eine interessante neue Theorie stellt einen Zusammenhang zwischen dem Rückgang von gastralen H. pylori-Infektionen und der steigenden Inzidenz von Adenokarzinomen her. So schien eine H-pylori Infektion und die im Gefolge auftretende Gastritis durch Suppression des intragastralen pH in früheren Populationen vor einer GERD und dem evtl. im Gefolge auftretenden Karzinom zu schützen. Der Body-mass-index ist ebenfalls mit dem Karzinomrisiko korreliert.
Abbildung: Klassifikation des Kardiakarzinoms
Die Adenokarzinome des gastroösophagealen Übergangs (AEG = adenocarcinoma of esophagogastric junction) werden nach einem Vorschlag von Siewert in drei Typen eingeteilt (siehe Abbildung).
Typ | Lokalisation | |
Typ I | distaler Ösophagus: 1-5 cm oberhalb der Z-Linie | |
Typ II | eigentliche Kardiaregion: 1 cm oberhalb bis 2 cm unterhalb der Z-Linie |
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Typ III | Subkardiale Lokalisation: 2 cm unterhalb bis 5 cm unterhalb der Z-Linie |
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Video Barrett- Metaplasie |
Pathogenese, Ätiologie
- Exogene Noxen: Nitrosamingehalt der Nahrung; chronische Alkoholingestion; Nikotinabusus;
- Endogene Noxen: unbekannt
Präkanzerosen: Plummer-Vinson-Syndrom, Achalasie (?), Endobrachyösophagus
Epidemiologie
- Inzidenz BRD: ca. 2000 Neuerkrankungen pro Jahr. Das "lifelong risk", am Karzinom zu erkranken, beträgt etwa 1:125 (0.8%) beim Mann und 1:455 (0.22%) bei der Frau (www.cancer.org)
- Altersgipfel 60-70 Jahre
- Geschlecht Männer > Frauen
- Geographie Gehäuftes Auftreten: Südostasien, Finnland, Frankreich, Chile
Spontanverlauf
ungünstig; ca. 8 Monate Lebenserwartung nach Dysphagieauftreten
Metastasierung
Leber | 32 % |
Lunge | 21% |
Knochen | 8% |
Niere | 7% |
Netz | 5% |
Nebenniere | 4% |
TNM-Stadium (2010 7.Auflage)
TNM | Definition | Bemerkung |
T0 | Kein Anhalt für Primärtumor | |
Tis | Carcinoma in situ | |
T1 | Infiltration von Lamina propria oder Submukosa. | |
T1m | Tumor beschränkt sich auf die Mukosa | |
T1sm | Tumor infiltriert die Submukosa | |
T1sm1 | Tumor infiltriert das oberflächliche Drittel der Submukosa | |
T1sm2 | Tumor infiltriert das oberflächliche Drittel der Submukosa | |
T1sm3 | Tumor infiltriert das oberflächliche Drittel der Submukosa | |
T2 | Infiltration von Muscularis propria | |
T3 | Infiltration der Adventitia | |
T4a | Infiltration von Pleura, Perikard oder Zwerchfell | |
T4b | Infiltration von anderen Nachbarstrukturen | |
N0 | Keine regionären Lymphknotenmetastasen | |
N1 | 1-2 regionäre Lymphknotenmetastasen | die Klassifikation des pN-Status sollte auf mindestens sechs entfernten regionären Lymphknoten beruhen. |
N2 | 3-6 regionäre LK-Metastasen | |
N3 | > 7 regionäre LK-Metastasen | |
M0 | Keine Fernmetastasen | |
M1 | Fernmetastasen |
Stadieneinteilung des Ösophaguskarzinoms (2010 7. Auflage)
Stadium Ia | T1 | N0 | M0 |
Stadium Ib | T2 | N0 | M0 |
Stadium IIa | T3 | N0 | M0 |
Stadium IIb | T1, T2 | N1 | M0 |
Stadium IIIa | T1,T2 | N2 | M0 |
T4b | N1-3 | M0 | |
T4a | N0 | ||
Stadium IIIb | T3 | N2 | M0 |
Stadium IIIc | T4a | N1-2 | M0 |
T4b | N1-3 | M0 | |
T1-4 | N3 | M0 | |
Stadium IV | jedes T | jedes N | M 1 |
Prästationäre Maßnahmen (Hausarzt):
Basis OP Vorbereitung
Obligate Diagnostik
Generell: Die Gewinnung einer Histologie ist dringlich. Bei "high-grade" intraepithelialen Neoplasien (früher: Dysplasien) sollte eine externe pathologische Zweitbefundung durch einen erfahrenen Pathologen durchgeführt werden.
- Endoskopie und EUS (Endosonographie)
- Computertomographie des Abdomens und des Thorax mit Oral- und i.v. Kontrast
- Bei Adenokarzinomen des gastrointestinalen Übergangs kann ein PET-CT durchgeführt werden
- bei den anderen Karzinomen ist das PET-CT nicht erforderlich
- Thoraxübersicht
- bei cervikalen Ösophaguskarzinomen: HNO-Konsil
- B-Bild-Sonographie
- Risikoprofil: Basisdiagnostik + Kreatininclearance, Aminopyrintest
Beispiele
Abbildung: Endoskopie eines Adenokarzinoms des Ösophagus (uT3 uN1)
Abbildung: Gastrografinschluck eines Adenokarzinoms (uT3 uN1)
Abbildung: CT Thorax eines Adenokarzinoms des Ösophagus (uT3 uN1)
Fakultative Diagnostik
Hals-CT (zervikales. Karzinom), Bronchoskopie (V.a. Trachealeinbruch), Knochenszintigramm, Koloskopie (bei geplantem Koloninterponat)
Therapievorgehen [Chirurgie]
Aufklärung
Zervikale Anastomoseninsuffizienz, postoperative Dysphagie, fehlendes Hungergefühl, Heiserkeit, Rekurrensparese, Splenektomie, Interkostalneuralgie, Koloninterponat, Blutung, Fremdblut, Hepatitis, AIDS, Rezidiv, Intensivpflege, Eigenblut nicht sinnvoll, Lagerungsschaden, bei Komplikation Behandlung auf Intensivstation, Sepsis, Nachbeatmung, bei Langzeitbeatmung Luftröhrenschnitt, Tod
Vorbereitung
Legen eines zentralen Venenkatheters, aber nicht via linke V. subclavia oder linke V. jugularis (Halswunde). Abführen mit 1/2-1 Portion Senna z.B. [X-Prep] und 3-4 Flaschen PEG, z.B. [Golytely], wie zum Koloneingriff (wegen mögl. Koloninterponat).
Operationsverfahren
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Transthorakale En-Bloc-Ösophagektomie, Magen- oder Kolonhochzug: Plattenepithelkarzinom des Ösophagus (excl. zervikale Karzinome, siehe unten), T1-T3 N1 (EUS), funktionell operabel. Viele dieser Patienten werden heute neoadjuvant vorbestrahlt. Dementsprechend erfolgt der Eingriff häufig zweizeitig (OP-Intervall 8-10 Tage) mit Rekonstruktion durch Schlauchmagen (1. Wahl) oder Koloninterponat im vorderen Mediastinum.
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Transthorakale Ösophagektomie, intrathorakale Anastomose oder (seltener, weil weniger radikal) transmediastinale Ösophagektomie, Magenhochzug. Indikation: Adenokarzinome des Ösophagus, T1-T3 N1 (EUS), funktionell operabel. Der Standardeingriff ist derzeit die transthorakale Ösophagektomie über eine posterolaterale Thorakotomie rechts und der Magenhochzug mit intrathorakaler Anastomose. Die transmediastinale Ösophagektomie wird bei Patienten mit hohem, vor allem pulmonal bedingtem OP-Risiko angewandt.
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Zervikale Ösophagektomie, Jejunuminterposition : Cervikale Ösophaguskarzinome, T1-T3 N1 (EUS), funktionell operabel.
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Limitierte Resektion des distalen Ösophagus (Op nach Merendino): Langstreckige Barrett-Ösophagus mit Metaplasie oder Frühkarzinom. Die Rekonstruktion der Speisepassage erfolgt mittels Interposition einer Jejunumschlinge.
Nachbehandlung
Halswunde ggf. primär offen behandeln.
- 3. Tag.: Rechte Robinson (unter Lig. hepatoduodenale), Bülau-Drainage ggf. abklemmen.
- 5. Tag: ggf. Bülau-Drainage ex.
- 5.-7. Tag: Schluckweise Tee, Magensonde ex, dann schrittweise Kostaufbau.
Keine Routine-Kontrolle der Anastomose erforderlich. Ernährungsberatung. Pankreasfermentsubstitution sinnvoll (z.B. Kreon forte3x2 oder 3x1 Kps, Btl. zu den Hauptmahlzeiten).
Therapieschemen [Onkologie]
Neoadjuvante Therapie
Plattenepithelkarzinome:
Indikation: infrabifurkal: ab T3 Stadium. Ad bifurkationem und suprabifurkal: Ab T2-Stadium.
Simultane Radio/Chemotherapie (OE 3 - Protokoll [ 30 Gy + 5FU Dauerinfusion ] ) via systemischen Port bei Plattenepithelkarzinom, lokal fortgeschritten (T3/T4), suprabifurkal mit / ohne, infrabifurkal mit Bezug zum Tracheobronchialsystem, funktionell operabel.
alternativ:
Chemotherapie ([Cisplatin, Leukovorin, 5FU] ) via systemischen Port bei Plattenepithelkarzinomen, lokal fortgeschritten (T3/T4), suprabifurkal mit Bezug zum Tracheobronchialsystem, funktionell operabel
Adenokarzinome (AEG I) ab T3-Stadium:
Chemotherapie (MUNICON Protokoll [ Leukovorin, 5-FU, Cisplatin, ggf Taxotere]) via systemischen Port bei Adenokarzinomen, lokal fortgeschritten (T3 Stadium), funktionell operabel. Dieses Protokoll beinhaltet eine PET-Kontrolle nach 14 Tagen, bei Nichtansprechen entweder Operation oder zusätzliche Radiatio.
Adjuvante Therapie nicht empfehlenswert
Additive Therapie in Einzelfällen, individuelle Entscheidung
Kurative, nicht-operative Therapie bei T1,T2-Tumorstadium:
Bestrahlungsbehandlung (50-60 Gy perkutane Radiotherapie und 300 mg/m2 5-FU, gegebenenfalls perkutaner Dosisboost oder endoluminale Brachytherapie im Afterloadingverfahren)
Palliative, nicht-operative Therapie bei fortgeschrittenen Tumorstadien
Perkutane Radiotherapie oder endoluminale Brachytherapie oder Chemotherapie
Chemotherapie via systemischen Port
bei lokal fortgeschrittenen (T4) Tumoren und funktioneller Inoperabilität oder Vorliegen von Fernmetastasen
Palliative Maßnahmen
Endoskopische Lasertherapie, Implantation eines Ösophagustubus oder -stents, Anlage einer perkutanen endoskopischen Gastroenterostomie (PEG).
Screening
Untersuchungen ergaben, dass durch ein generelles Screening der Bevölkerung keine oder nur eine minimale Senkung der Sterblichkeitsrate des Ösophaguskarzinoms erreicht werden kann. Patienten mit Barrett-Ösophagus sollten allerdings in regelmäßigen Abständen endoskopiert werden. Bei Fehlen von Dysplasien wird ein Abstand von 2-3 Jahren empfohlen. Patienten mit Dysplasien sollten sich durch einen erfahrenen Gastroenterologen beraten lassen.
Anhaltspunkte zur Prognose
- unbehandelt: infaust
- resezierte Patienten: ca. 25% 5-Jahresüberlebensquote (T1 N0 mind. 60-70%)
- Prognostische Faktoren: R-Status nach chirurgischer Therapie, T-Stadium, N-Stadium, Tumorgrading
Siehe auch:
Flowchart Adenokarzinom des Ösophagus
Flowchart Plattenepithelkarzinom des Ösophagus